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Ein Haus mit Geschichte

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Ansicht des Verwahrungshauses, Südflügel, 2015. Lizenz: Creative-Commons 3.0. Retouche Pfeilmarkierung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Klingebiel#/media/Datei:Festes_Haus_G%C3%B6ttingen_mit_Klingebiel_Zelle.jpg

Am Beispiel des Verwahrungshauses werden wichtige Handlungsstränge der Psychiatriegeschichte im 20. Jhd. anschaulich (vgl. Koller und Hesse, 2013). 1907 konzipiert, sollte das "Verwahrungshaus für unsoziale Geisteskranke" etwa 60 Personen mit einem "besonderen Sicherungsbedarf" aufnehmen (Weber, 1909; Cramer, 1909; Tintemann, 1914). Nach der Eröffnung im Jahr 1909 lag ein Schwerpunkt auf der Unterbringung von "verbrecherischen Geisteskranken" und von Insassen, die als gewalttätig oder fluchtgefährdet galten und daher in den übrigen Anstalten der Provinz nicht untergebracht wurden. So erhielt das Gebäude den Grundriss und die äußeren Sicherungsstrukturen eines Gefängnisses. 1925 kam es zu Revolten gegen das im Inneren herrschende Regime (Stolzenburg, 1925). Die Verantwortlichen bekannten sich zu einer fürsorglichen Verwahrpsychiatrie. Sie beschreiben zugleich ein System der Sicherung und totalen Kontrolle, in dem die untergebrachten Menschen vor allem als pathologische Träger von Gefährdungen beschrieben werden.

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1918 war auch der Patient und Künstler Gustav Sievers (Spengler, 2013) im Verwahrungshaus untergebracht. Er zeichnete 1918 immer wieder die benachbarte "Corrigentenanstalt bei Göttingen". Sein Gesamtwerk wird in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg gepflegt. Schon damals war die Mauer im oberen Teil aus rotem Backstein gemacht. Dieser Blickwinkel ergibt sich noch heute aus der Klingebiel-Zelle.

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Zu den ehemaligen "Insassen" des Hauses gehörte der Serienmörder Fritz Haarmann. Auch der wichtige art-brut-Künstler und Architekt Paul Goesch (Röske, 2016) war hier zeitweilig untergebracht.

Gustav Sievers: Die Corrigentenanstalt bei Göttingen. 1918. Sammlung Prinzhorn, Heidelberg

Situationsfoto: Blick aus der Klingebiel-Zelle auf das Gebäude, 2013. Projektarchiv

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Das "Feste Haus" nach 1965

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Stationsflur I. OG, Verwahrungshaus Göttingen 1970. Standbild, NDR Nordschau 24.2.1970.

Mit freundlicher Genehmigung Norddeutscher Rundfunk

Die menschenunwürdigen Zustände, wie sie vor den 1975 beginnenden Psychiatriereformen auch im Landes-krankenhaus Göttingen bestanden, wurden in einem Fernsehbericht der NDR Nordschau am 24.2.1970 anschaulich. Die Belegung mit rund 60 schwerkranken Patienten schuf eine bedrückende, angespannte Atmosphäre. Der damalige Direktor des Landeskrankenhauses Göttingen, Prof. Dr. Ulrich Venzlaff (1921 - 2013) fand hierzu klare Worte. Er erklärte "die ständige Benachteiligung psychiatrischer Krankenhäuser .. für unverantwortlich." Die Psychiatrie sei "nach wie vor das Stiefkind der Gesundheitspolitik" Venzlaff sah "bis hin zu höchsten Stellen tief verwurzelte, mittelalterlich mystische Vorurteile und eine erschreckende Ignoranz gegenüber den Problemen unserer psychisch kranken Mitbürger." Der Bericht sieht "Rückständigkeit auf dem Abstellgleis der Gesellschaft." 

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Prof. Dr. Venzlaff. Standbild, NDR Nordschau 24.2.1970.

Mit freundlicher Genehmigung Norddeutscher Rundfunk

Wie auch im Landeskrankenhaus Wunstorf, wo Prof. Dr. Asmus Finzen ab 1975 mit seinen Mitstreitern durchgreifende Reformen in Angriff nahm und publizistisch für die Psychiatrierefom eintrat, ermöglichte das Land Niedersachsen auch in Göttingen Neubauten. Schrittweise personelle Verbesserungen leiteten die Umsetzung der Psychiatriereformen ein.

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Das Gebäude wurde 1980 um einen Anbau erweitert, um Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Es erhielt einen zusätzlichen umfriedeten Hof. Der bedrückende gefängnisartige Charakter mit Zellen, vergitterten Fenstern und Fluren blieb erhalten.

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1990 wurde das Verwahrungshaus umbenannt in "Festes Haus." 2007 wurde es organisatorisch und fachlich dem damaligen Niedersächsischen Landeskrankenhauses Moringen zugeordnet, einer Schwerpunkteinrichtung für den Maßregelvollzug. Das Göttinger Landeskrankenhaus mit seinen klinischen Abteilungen wurde an die Asklepios AG veräußert.

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Zur jüngeren Vergangenheit

Künstlerische Äußerungen von Patienten wurden auch in späteren Jahren unterstützt. Ein Patient hat in den 1980er Jahren die Mauern des äußeren Hofes bemalt. Seine großen Strand- und Küstenlandschaften werfen einen Blick in die Freiheit.

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Wandmalereien im äußeren Hof. NN, nach 1980. Mit freundlicher Genehmigung: Valérie Wagner

Die Hamburger Fotografin und Künstlerin Valérie Wagner realisierte 2015, im Jahr vor der Schließung des Gebäudes ein Fotoprojekt unter dem Titel Closed Up (Wagner, 2019). Sie visualisiert die Situation der Patienten im Spannungsfeld zwischen dem historisch befrachteten Gebäude und den Betreuern. In einem Video schildert sie ihre Arbeit (Wagner, Wagensonner und Aziz, 2017).

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​​Das Feste Haus wurde bis 2016 für die Unterbringung psychisch gestörter Straftäter genutzt und steht seitdem leer. In unmittelbarer Nachbarschaft wurde 2015 für den Moringer Maßregelvollzug ein Neubau errichtet. Die Zugangsstraße wurde nach Ulrich Venzlaff benannt.

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Auch der Neubau ist ein Ort für die Kunst:

 

Der Förderverein Sozialpsychiatrie Moringen e.V. und die Leitung des Massregelvollzugszentrums unterstützen die Begegnung mit Bildwerken. So sind im Neubau etliche Werke von "psychiatrie-erfahrenen" Kunstschaffenden zu sehen, welche selbst Erfahrungen mit psychischen Leiden / Behandlungen haben.

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Im Sommer 2024 entsteht vor dem Neubau auf einer Rasenfläche eine Objektinstallation aus drei historischen Zellentüren, welche aus dem Verwahrungshaus stammen. Sie stehen über einem Betonsockel in Stahlgestellen im freien Raum. Bauherr ist das Massregelvollzugszentrum Moringen. Gestaltung Andreas Spengler. Die Installation stellt die Zellentüren jenseits ihrer früheren Funktion dar. Sie werden voraussichtlich am 25.10.24 für die Öffentlichkeit freigegeben.​

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