Zwischen zwei Weltkriegen
Julius Klingebiels Geschichte beginnt in der Kaiserzeit. Er wurde am 11.12.1904 in Hannover geboren. Sein Vater stammte aus dem heutigen Bad Grund im Harz. Er war Postbeamter. Julius Klingebiel wuchs in Hannover auf und hatte eine Schwester.
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Aus seiner Kindheit und Jugend oder über sein Leben als junger Erwachsener ist nichts überliefert. Über eine Ausbildung im Zeichnen und Malen ist nichts bekannt.
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Ab 1928 machte er ihm heuten Langenhagen-Krähenwinkel eine Schlosserlehre. 1930 ging er zurück nach Hannover und wurde Schlosser bei der Wehrmacht. Er diente im Proviantamt (Heeres-Verpflegungs-Amt).
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1935 heiratete er seine Frau Luise. Sie brachte zwei Stiefsöhne mit in die Ehe. Die Familie lebte in Hannover.
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Bildausschnitt aus der Zelle:Land Niedersachsen. Fotoarbeiten Hans Starosta
Die Bilderwelt, die er Jahrzehnte später erschuf, gibt Hinweise auf seine Interesssen: Landschaften, Kultur und Technik, Zeitgeschehen und Geschichte, Mensch und Tier.
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Von Zeitzeugen wissen wir, wie eng er seiner heimatlichen Landschaft verbunden war. Er liebte die Jägerei. Wälder und Hügel lassen an die Herkunft der Familie im Harz denken. Kenntnisse über die Tierwelt sprechen aus seinen Bildern.
Auffällig sind seine Darstellungen von Hirschen. Er malte Axis-Hirsche, eine aus Indien stammende Art mit unverkennbaren weißen Tüpfeln und einem schwarz-weißen Streifen auf dem Rücken (Aalstrich). Ein Film aus dem Jahr 1918 zeigt sie im Tiergarten Hannover. ​In der Zelle malte er auch einen großen Tiger, der früher im Zoo zu sehen war, ebenso wie Hyänen, Löwen oder Nilpferde.
Abbildung: Axishirsche. Farblithografie.
Das illustrierte Buch der Welt, Stuttgart 1860. Privatarchiv
Standbild Axishirsche. In: Der Tiergarten in Hannover. Naturaufnahme der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft E.V. Berlin. Produktion: Deutsche Lichtbild-Gesellschaft e.V., Berlin / Deulig-Film GmbH, Berlin 1918.
Mit freundlicher Genehmigung: Bundesarchiv, Abt. Filmarchiv.
Seine Bilder von Großseglern, Hafenanlagen und Frachtschiffen lassen vermuten, dass er in jungen Jahren gereist ist. An der linken Wand der Zelle befand sich anfangs, wie historische Fotodokumente zeigen, gerahmt eine Landschaft mit Hirschen. Er übermalte diese später mit einem Dreimaster, der an die legendären "Flying P-Liner" erinnert. Segler wie die "Pamir" oder die "Passat" waren im Überseeverkehr eingesetzt und legten auch im Hamburger Hafen an. Auch malte er Zeppeline und innovative Fluggeräte. Klingebiel sah sich als großer Erfinder. Und er war an Religion und Geschichte interessiert.
Bildausschnitte: Sammlung Prinzhorn, Heidelberg - Land Niedersachsen. Fotoarbeiten Hans Starosta
Bildausschnitte:
Land Niedersachsen.
Fotoarbeiten Hans Starosta
​Er malte religiöse Motive: Einen strahlenumkränzten, segnenden Jesus, der über den Wassern schwebt, stellt er direkt über die Zellentür. Unter ihm eine kleine Figur, die nach einem Rettungsring zu greifen scheint. Ein Selbstbildnis? Beide blicken hinüber zum Fenster der Zelle - in die Freiheit (Röske, 2012). An den Wändern finden sich eine große Kirche, die an die Marktkirche in Hannover erinnert, ebenso wie ein kleiner Tempel.
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1959 betonte er gegenüber einem Praktikanten, seine "Dreieinigkeit" seien "Jesus, Hindenburg und Harry Piel". Das Zitat lässt erahnen, wie originell er dachte und seine Idole auswählte. Harry Piel war ein Filmstar aus alter UFA-Zeit, und weitere Personen, die er in der Zelle gezeichnet hat, erinnern an Stars wie Zarah Leander oder Marika Rökk.
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Auf dem Foto, welches ihm um 1954 vor dem Fenster zeigt, zitiert er ein Werk des Altmeisters Jan Vermeer (um 1670), die "Stehende Dame am Spinett". So zeigt er sich auch kunstgeschichtlich bewandert. Er hat dieses Bild nie übermalt.
An den Wänden posieren Kaiser Wilhelm II, Friedrich der Große, weitere Uniformierte, Kreuzritter, Ordensleute.
Einem Polizeiprotokoll vom 2.10.1939 zufolge gehörte er einer SA-Standarte an. Wieweit er sich mit dem nationalsozialistischen Regime identifiziert hat, ist nicht bekannt. An der linken Wand karikiert er Adolf Hitler ebenso wie andere bekannte und unbekannte Personen, darunter auch die Queen. Hitler taucht auch in einer kleinen Zeichnung neben Hindenburg, Zeppelin und Göring auf. Dass Göring 1936 auch oberster Jäger des Dritten Reichs war, erwähnte er gegenüber Zeitzeugen: Klingebiel liebte die Jägerei.
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Immer wieder streute er in die Malerei kreisförmig umrandete Kreuze ein. Die meisten erweisen sich als senkrecht stehende, rechts drehende Swastika. Svastika sind kulturgeschichtlich uralte, weltweit verbreitete Symbole, die ihm offenbar vertraut waren.
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Oberhalb der Zellentür zeigt er eine Bigband mit Bläsern und Piano, darunter Tanzpaare. Die Aufschrift "Zigfeld" auf der Pauke weist auf die zu seiner Zeit bekannte Broadway-Revue "Ziegfeld Follies" hin. Eine junge Frau posiert für einen Messerwerfer. Vor Charlie Chaplin in der Rolle des Tramp zieht ein Polizist sein Notizbuch.
Bildausschnitte: Land Niedersachsen. Fotoarbeiten Hans Starosta
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